
Sonntag Nachmittag um 5 Uhr war Treffpunkt Kino für uns Jugendliche jener Zeit. Es liefen Schlagerfilme der leichten Kost, oft mit durchwegs bekannten Schauspielern besetzt und drumherum mit Schlagersänger und -innen aufgemotzt. Fernsehen gabs noch nicht, deshalb war neben dem Radio und der Musicbox der Film ein zusätzliches Medium, die damaligen Stars “persönlich” kennenzulernen. Bill Ramsey als männlicher Tollpatsch und Trude Herr als weibliches Gegenüber waren in manchen Filmen zusammen zu sehen. Es war lustig und die Schlager gefielen. Wobei wir als “angehenden Tanzmusiker” schon damals merkten: Bill Ramsey’s Gesangsstil war anders, war jazzig angelegt.
Bill Ramsey, Sohn einer Lehrerin und eines Werbemanagers, sang bereits in seiner Jugend in einer College-Tanzband. Als er von 1949 bis 1951 an der Yale-Universität in New Haven ein Soziologie- und Wirtschaftsstudium begann, sang er nebenher Jazz, Swing und Blues. Zu seinen Vorbildern gehörten Count Basie, Nat King Cole, Duke Ellington und vor allem Louis Jordan. Als junger US-amerikanischer Rekrut wurde Ramsey 1952 nach Deutschland geschickt. Dort entdeckte der Soldatensender AFN den jungen Mann mit seiner tönenden Baritonstimme in Jazzlokalen. Schließlich wurde er Chefproduzent bei AFN, ein paar Jahre später eroberte er die deutsche Musikindustrie.
Im Frankfurter Jazzkeller begegnete er 1954 Heinz Gietz, einem führenden deutschen Musikkomponisten und Produzenten. Gietz brachte Ramsey zunächst beim Film unter, wo er in mehr als 20 Streifen mitspielte. 1957 dann fragte Gietz Ramsey, ob er eine Platte machen wolle. Bei der Frage „Willst du Rock ’n’ Roll oder lieber was Lustiges singen?“ entschied sich Ramsey für das Lustige. Damals schien niemand zu verstehen, dass die von vielen als albern wahrgenommenen Ramsey-Hits bewusst kabarettistisch angelegt waren. „Die Lieder waren ein Spiegelbild der Wirtschaftswunderzeit“, sagte er einst in einem Interview. Das „Pigalle“ habe sich auf die deutschen Kegelclubs bezogen, die nach Paris reisten. Sein erstes Nummer-eins-Lied „Souvenirs“ persiflierte die ersten deutschen Urlauberinnen und Urlauber, die nach Italien reisen konnten und mit Taschen voller Andenken zurückkehrten. Ein Ohrwurm war so gut wie jeder seiner Hits: „Wumba-Tumba Schokoladeneisverkäufer“, die „Zuckerpuppe (aus der Bauchtanztruppe)“ und unzählige weitere.
Mitte der 60er Jahre kam es wegen des nachlassenden Erfolges als Schlagersänger zu einer Wegscheide: Von da an nahm er ausschließlich Lieder in seiner Muttersprache Englisch auf und produzierte fast nur noch Jazz und Blues. Aber gleichzeitig schloss er nie endgültig mit der lukrativeren leichten Unterhaltung ab.
Seine Fans feierten Ramsey wegen seiner unverkennbaren, bluesigen Stimme, die im Laufe der Jahrzehnte kaum an Soul und Energie eingebüßt hatte. Genussvoll schloss er die Augen, wippte mit seinem Knie im Takt, fühlte den Groove und beschwor den Geist der Musik aus verrauchten Jazzkellern in New Orleans oder Chicago herauf.
Am 2. Juli 2021 starb Bill Ramsey im Alter von 90 Jahr in Hamburg. (Quelle: ORF)