Brief aus Japan, oder – wie ein Dirigent zum Dompteur wird

Interessante Werke – wenig gespielt

Unter dem Motto „Gehört – gespielt“ wollen wir von Fall zu Fall außergewöhnliche Werke vorstellen, die wir im Zuge unserer Archivarbeit entdeckt haben und die – nach unserem Wissenstand – nur wenig gespielt werden. Nun werden Sie glauben, es handle sich dabei nur um „hochgradige“ Kompositionen? Weit gefehlt, es gibt durchaus auch Werke im mittleren Schwierigkeitsgrad, die das Prädikat „außergewöhnlich“ führen dürfen! „Außergewöhnlich“ bedeutet aber nicht: topaktuell oder Neuerscheinung. Nein, es können durchaus Werke mit „einigen Jahren am Buckel“ sein. Und natürlich können auch Sie uns Werke vorschlagen, denen Sie das Prädikat „Außergewöhnlich“ verleihen wollen.

Das Werk, welches wir Ihnen heute vorstellen, ist 2006 erschienen. Dabei handelt es sich um ein Stück, bei dem es auf die Kreativität der Musiker ankommt. Diese gestalten selbst den Klang, Dynamik und Artikulation. Das Besondere an Klangkörper sind die neun Teams, die mit- und gegeneinander spielen. Der Dirigent selbst führt diese Teams – wie ein Dompteur seine wilden Tiere – vorsichtig und gefühlvoll durch die Arena. Die Aufgabe für die Musizierenden ist, ein „wildes, stürmisches Meer“ und „eine sternenklare Nacht“ darzustellen.

Letter from Sado“ (Brief aus Sado) ist also ein aufregendes Stück für junge Bands, das auf einem japanischen Haiku (= eine traditionelle japanische Gedichtform) mit dem gleichen Namen basiert. Sado bezieht sich auf Sado Island in Japan, wo vor vielen Jahren verschiedene Künstler, religiöse und militärische Führer ins Exil geschickt wurden. Die Insel hat seit jeher eine starke Gemeinschaft von Taiko-Trommlern, und als solches beinhaltet das Stück optionale selbst gemachte Taiko-Trommeln.

Die Komponistin Jodie Blackshaw schreibt: „Um die Idee der Interpretation und das Konzept des Lesens zwischen den Zeilen einzufangen, sind die Musiker eingeladen, Entscheidungsträger für bestimmte Abschnitte in der Musik zu werden. So verwenden beispielsweise der Eröffnungs- und der Schlussabschnitt des Stückes das gleiche Material, das eine Auswahl von wiederholten melodischen Figuren ist. Die Musiker entscheiden selbst, wie sie diese Figuren als Einzelpersonen, in kleinen Teams und dann als ganze Band spielen. Ihre Entscheidungen umfassen Ideen bezüglich Tempo (wie schnell?), Dynamik (wie laut?) und Artikulation (glatt, kurz oder hart?). Um sie zu inspirieren, verwenden wir das Haiku-Gedicht, d.h. der Eröffnungsteil lädt die Teilnehmer ein, das Material wie ein „stürmisches, wildes Meer“ zu spielen, und der Schlussteil lädt die Musiker ein, die gleichen melodischen Figuren zu spielen, aber diesmal lassen sie sich vom „Heaven’s River“ oder, wie wir ihn kennen, der Milchstraße inspirieren.

Dazwischen befindet sich ein aufwändiger, stark strukturierter Abschnitt, der immer kraftvoller wird. Die Musik ruht erst dann harmonisch, wenn die ganze Orchester im Gleichklang spielt. Diese multiplen Klangschichten repräsentieren die vielen Gedanken und Ideen, die diese Individuen, die nach Sado Island im Exil geschickt wurden, umgeben hätten, der endgültige Einklang ist repräsentativ für ihre eigene bahnbrechende Erfahrung, die sie auf einen Weg zum inneren Frieden und dessen Annahme führt.“

Letter from Sado ist ein interessantes Stück für Mittelstufenorchester, das wir mit Videos, Partiturvideo und kompletten Radiotrack sowie weiterführenden Informationen und Bilder über die Insel „Sado“ (bei Japan) verknüpft haben.

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